Auch diese Rubrik werden wir weiter mit Inhalt füllen.
Es befinden sich viele Kostbarkeiten in der historischen Bibliothek. Beginnen wir mit diesen, und mischen wir ein paar Kuriositäten munter darunter. Bei der Eingabe in den digitalen Katalog des Bibliotheksverbunds von Deutschland (GBV) fallen uns immer wieder Schriften in die Hände, die im Rahmen des GBV nur bei uns nachweisbar sind. Zum Schuljubiläum 2023 planen wir deshalb eine Ausstellung mit „Unikaten“, d.h. Büchern die in Deutschland (minus Bayern, die dem GBV nicht angehören) nur bei uns vorhanden sind. Und da kommen wir auf eine Zahl von über einhundert.
Oft sind es die Einbände, die ein Buch zu einer Kostbarkeit machen, unabhängig von der Auflage oder der Zahl der nachweisbaren Exemplare. Vor 1800 wurden Bücher in der Regel vom Drucker als „Loseblattsammlungen“ geliefert, der Kunde ging damit zu einem Buchbinder und ließ sich – entsprechend seinem Geldbeutel und seinem ästhetischen Anspruch – ein Buch binden. Das konnte in Pergament sein, das konnte aber auch in Leder sein, mit aufwändigen Prägungen und Goldeinlagen.
Das unten abgebildete Buch von Johannes Sleidanus Buch hat alles, was einen bibliophilen Menschen erfreut: gestempelter Lederband, vergoldete Platten- und Einzelstempel und den vergoldeten Besitzernamen Romero vann Schedick sowie Kantenbeschläge und Messingschließen:
Die historische Bibliothek war ja auch immer eine Schulbibliothek, und so sind Werke bekannter Pädagogen nachgewiesen, z.B. Johann Amos Comenius. Aus Jever stammte Christian Heinrich Wolke, nach dem auch eins der Gebäude des Mariengymnasiums benannt ist. Er war ein Reformpädagoge des ausgehenden 18. Jahrhunderts und hat an vielen Stellen einflussreich gewirkt. Seine Verbundenheit mit dem Mariengymnasium hat er auch durch die Schenkung seiner Büchersammlung deutlich gemacht. Das von ihm verfasste Buch „Anweisungen für Mütter und Kinderlehrer (Leipzig, 1805) vermachte er durch persönliche Widmung der Schulbibliothek. In diesem ist dieser mehrfach gefaltete wunderschöne Kuperstich enthalten:
1973 gelangte die Bibliothek des Jeverschen Bürgermeisters Georg Heinrich Bernhard Jürgens ins Mariengymnasiums. Jürgens Büchersammlung ist das, was man gemeinhin als Gelehrtenbibliothek umschreibt. Sie umfasst nicht nur eine große Anzahl von Bänden (1.200) sondern auch solche von großem Wert. Georg Heinrich Bernhard Jürgens war nicht nur ein angesehener Rechtsanwalt und Notar in Jever, er hatte sich auch einem speziellen Hobby verschrieben – der Algenforschung. Dieses Hobby betrieb Jürgens durchaus auf wissenschaftlichem Niveau. Jürgens erwarb deshalb als Grundlage alle wichtigen zeitgenössischen Schriften, die sich mit Algen auseinandersetzten. Aufgrund derer kann die Bibliothek des Mariengymnasiums nun auch auf diesem Feld glänzen.
Flug- und Streitschriften waren ein beliebtes Mittel der politischen oder religionspolitischen Propaganda. Mit Aufkommen der Druckkunst, besonders des Drucks mit beweglichen Lettern, waren sie schnell und kostengünstig herstellbar, und garniert mit ausdrucksstarken Illustrationen, oft von anerkannten Künstlern, waren sie ein Medium, das auf den Märkten und in den Gassen leicht an den Mann zu bringen war.
Von Johannes Tetzel, einem wohl nicht immer solide lebenden Dominikaner und berüchtigten Ablasshändler zur Finanzierung des Baus des Petersdoms in Rom, kennen wir den Satz „Sobald der Gülden im Becken klingt im huy die Seel im Himmel springt“. Mit der Reformation wandte sich die neue Glaubensrichtung gegen diesen exzessiven Ablasshandel. Und welches Medium wäre geeigneter, um diese Botschaft zu verbreiten, als die Flugschrift!? Die Bibliothek des Mariengymnasiums besitzt eine schöne Sammlung von Flugschriften aus den 1520er Jahren. Naturgemäß sind diese Kleinschriften extrem selten, denn wer wollte schon ein Blättchen archivieren!?
Bücher aus vergangenen Jahrhunderten haben in der Regel indivuelle Eigenschaften; sie sind nicht die genormten und oft einförmigen Produkte, die Verlage heute anbieten. Da Drucker und Buchbinder vor dem 19. Jahrhundert zwei getrennte Berufsbereiche waren, so waren auch zwei Institutionen beteiligt, die dem Buch seinen charakteristischen Stempel aufdrückten. Hatte der Kunde einen Druck erworben, so war sein Geldbeutel entscheidend für das Aussehen des Buches. Konnte er sich einen Ledereinband erlauben, gegebenenfalls mit Prägungen und Goldeinlagen, oder war Pergament mit handschriftlichem Rückentitel die akzeptablere Lösung? Vielleicht sollte auch Pappe mit Kleisterpapier kaschiert zur Anwendung kommen!? War diese Entscheidung nun getroffen, so ging es um den Buchschnitt. Soll er sozusagen naturbelassen bleiben oder mit Farbe geziert werden? Sprengschnitt, Farbschnitt oder gar Goldschnitt? Die heute selbstverständliche Angabe des Buchtitels auf dem Rücken kam erst nach und nach auf. In raren Fällen haben sich in der Bibliothek auf dem Schnitt Titelangaben in Tinte erhalten, wie hier bei um 1525 gedruckten Hieronymos-Titeln aus der Sammlung des Remmer von Seediek, seines Zeichens Kanzler unter Maria von Jever.
Spottschriften waren immer Teil der literarischen Welt. Sie waren nicht immer gerecht, trafen nicht immer die Wahrheit und zielten gelegentlich deutlich unter die Gürtellinie. Oft versteckten sich anonyme Autoren hinter diesen Werken. So auch hier. „Die neu=entdeckten Elisäischen Felder, und was sich in denselben sonderbares zugetragen“ (Frankfurth und Leipzig 1735/36) bezieht sich auf das Geschehen am Hof Friedrich Wilhelms I. von Preußen, der bekanntermaßen ein „Tobacks-Collegium“ unterhielt. Dort wurde nicht nur dem Tabak zugesprochen, sondern auch dem Alkohol.
Ein Insider, von dem wir heute wissen, dass es David Fassmann war, hat sozusagen den Maulwurf gespielt und in Buchform Dinge an die Öffentlichkeit aus diesen „Herrenabenden“ getragen, die manchen der Teilnehmer nicht zum Ruhme gereichten. Ob dies zutreffend war oder nicht, entzieht sich unserer Kenntnis. Aber dem „Geheimen Rath und Freyherr“ Jacob Paul von Gundling sollte offensichtlich eine Backpfeife erteilt werden. Ihm wurde in diesem Tabakskollegium augenscheinlich übel mitgespielt. Fassmann, als sein Antagonist, stellt ihn als bramarbasierenden Säufer und Wichtigtuer dar, und die Illustration in seinem Buch lässt keinen anderen Schluss offen. Dennoch war von Gundling Professor, Historiker, Präsident der Akademie der Wissenschaften und Hofrat bei Friedrich Wilhelm I.
Geben die ehrenamtlichen Mitarbeiter des Fördervereins Bücher des historischen Bestandes in den digitalen Katalog der GBV ein, so müssen sie jedes Buch in die Hand nehmen, um in einer sogenannten Autopsie alle relevanten Buchdaten und Buchmerkmale zu erfassen. Dabei schaut man sich Bücher sehr intensiv an, und so entdeckt man gelegentlich Dinge, die vorher nicht so ins Auge sprangen. So stießen wir in einem Werk des Arztes und Alchemisten Heinrich Khunrath von 1597 auf ein Emblem, das perfekt in die Corona-Leugner-Zeit passte und prompt vom Jeverschen Wochenblatt (20.12. 2021) aufgegriffen wurde.
Es ist nicht immer so, dass Kostbarkeiten auch kostbar aussehen. Oftmals scheinen sie eher Aschenputtel zu sein, doch bei näherem Hinsehen entpuppen sie sich als absolute Rarität, als Unikat gar, oder als bibliophiler Schatz.
Oft ist es nicht der Druck an sich, der eine Schrift zu einer Kuriosität macht, sondern der Umgang mit derselben. In einer bei Froben 1520 in Basel gedruckten Schrift des Erasmus von Rotterdam kamen nach der Restaurierung Blätter einer spätmittelalterlichen Pergamenthandschrift zu Tage. So entdeckte Matthias Bollmeyer, unser Schriftwart, auf dem Makulaturfragment aus dem hinteren Spiegel des Buches von Desiderius Erasmus (Adagiorum chiliades) gar Frevelhaftes. Hatte doch ein Leser das Initial C um seine eigene künstlerische Beifügung bereichert! So wurde aus dem distinguierten C ein gar munteres Gesicht.
Ein Sprachlehrbuch aus dem 17. Jahrhundert stellt man sich aus heutiger Sicht wahrscheinlich ziemlich dröge und repetitiv vor. Schon sieht man sie vor dem geistigen Auge, Schüler, die – gezwungen, still zu sitzen und andächtig zu schauen – jedoch gedanklich irrlichternd weit außerhalb des Klassenzimmers sind. Sodann kam Johann Amos Comenius, und er hatte einen Plan, wie er den Schülern die lateinische Sprache schmackhaft machen könne. 1658 erschien sein Lehrwerk Orbis Sensualium Picti, und in diesem führt er die Schüler über Holzschnitte zu allen die damalige Welt betreffenden Themen an die lateinische Sprache heran. Welcher Schüler, der auf Abenteuer aus ist, mag sich nicht mit Dingen wie der Freibeuterei beschäftigen?! Da macht Latein gleich doppelt soviel Spaß. Kein Wunder, dass Comenius großen Einfluss auf das Schulwesen in Europa bekam..
„Der letzte Mann, der alles wusste“, so hat Paula Findler ihn charakterisiert: Athanasius Kircher – Jesuit, Universalgelehrter, Alles-Wisser, Medienstar des 17. Jahrhunderts. Es gibt kein Wissenschaftsgebiet, auf dem er nicht tätig war – von der Ägyptologie bis zur Theologie. Kurzum: Er hatte es drauf. Kircher war Vertreter der angewandten Physik und setzte diese effektvoll auch in seinem Museum in Szene.
In der historischen Bibliothek stehen zehn Werke dieses Mannes, der allerdings nicht nur bewundert, sondern auch bespöttelt wurde. Denn er wusste, wo die Drachen lebten, er hatte plangenau und im Detail die Einrichtung der Arche Noah dargelegt, Futterstellen nicht vergessend. Der globale Wasserkreislauf war ihm ein Anliegen, gefundene Mammutknochen ließen ihn Rückschlüsse auf die Riesen der Steinzeit ziehen. Er erkannte einerseits Mikroorganismen als Auslöser der Pest, andererseits brachte er trickreich Statuen zum Sprechen. Dazu hatte er sich spezielle Schalltrichter ausgedacht, sozusagen die Leslie-Hörner des 17. Jahrhunderts.