Ein Kreuz vor Südamerika


Atlas im Mariengymnasium / Wie man 1721 die „weite Welt“ betrachtete

Gut zu erkennen sind auf diesem Kartenausschnitt des Circulus Westphalicus die damalige Form des Jadebusens und die handschriftlichen Einträge im Jeverland.

-ch- Jever. Die bequemste Art zu reisen besteht vermutlich darin, mit dem Finger auf der Landkarte unbekannte Länder zu erkunden. Doch eine Karte gehört auch dazu, wenn man sich wirklich auf Reisen begibt. Das gilt für das 18. Jahrhundert noch mehr als für die Gegenwart. Ein gutes Beispiel ist der Weltatlas, der sich im Besitz des Mariengymnasiums befindet. Wann der „Bij Frederick de Witt in de Calverstraat“ in Amsterdam gedruckt wurde, läßt sich nicht feststellen, jedoch trug vermutlich der jeversche Landdrost Johann Ludwig, späterer Fürst von Zerbst, im Jahre 1721 seinen Namen in das Deckblatt ein.

Nicht so sehr der Stand der Kartographie dieser Zeit macht den Reiz des großen Kartenwerks aus – immerhin ist der erste Atlas von Gerhard Mercator bereits 1595 erschienen – sondern die Präsentation der Weltkarte und der zahlreichen Länderkarten. Kupferstiche, mühevoll mit der Hand koloriert, begleiten den Benutzer mit allegorischen Darstellungen, Wapen und bunten Bildern aus fremden Welten auf seiner Reise. So zeigt die Karte Amerikas neben der lateinischen Kartenlegende eine Gruppe von Indianern: ein Jäger mit Pfeil und Bogen, ein Bauer und ein indianischer König mit Schirmträger geben dem Betrachter eine Idee davon, was ihn auf diesem Kontinent erwartet. Im Bild fehlen nicht die Goldbarren der legendären Inka – Schätze.

Die antike Sagenfigur Atlas trägt im Deckblatt des Kartenwerks das Weltall auf seinen Schultern.

Das Weltbild, das sich hinter dem Kartenwerk verbirgt, hat eines mit modernen Atlanten gemeinsam – es ist kompromißlos eurozentzrisch geprägt. Während es für ganze Kontinente der „neuen Welt“ wie Amerika, Afrika oder Asien je nur eine Übersichtskarte gibt, erhät in Europa nahezu jedes kleine Fürstentum eine eigene Karte. Navarra, Arragonien und Brandenburgum bedeuten eben noch etwas. Bis heute ist das eurozentrische Mercator – Prinzip in den meisten Atlanten erhalten.

Besonders interessant wird es auf der Bildtafel 58, „Circulus Westphalicus“, wo das Jeverland und die Nordseeküste zu finden sind. Genau hier hat sich Johann Ludwig, der nach der Flutkatastrophe von 1717 nach Jever geschickt worden war, um den Deichbau voranzubringen, vermutlich persönlich mit blasser Tinte verewigt. In die Region eingetragen hat der Deichbaubeauftragte die Namen der Sielorte „Sophiensiel, Grilldumersiel, Hoksiel, Inhusersiel, Hormersiel, Rüstersiel und Bantersiel“. Auch die handschriftlichen Markierungen „Wangerland, Wangeroog, Oestringen“ schienen ihm wichtig genug für eine Ergänzung zu sein. Für einen Mann, der von Zerbst nach Jever kam, um sich um die Deiche zu kümmern, ein Zeugnis von der Wichtigkeit, die er seiner neuen Aufgabe beimaß.

Immerhin kam er offenbar viel in der Welt herum. Sogenannte „Reiter“ aus Papier geben säberlich beschriftet Auskunft. Johann Ludwig interessierte sich stark für den europäischen Raum. „Colonia“, „Gracia“, „Italia“, „Gallia“ und natürlich auch „Russia“ scheint der Adlige aus Zerbst öfter nachgeschlagen und wahrscheinlich auch bereist zu haben, denn der Einband und die betreffenden Bildtafeln sind von intensiver Benutzung gezeichnet. Karten, die womöglich unterwegs erworben wurden, sind nachträglich zur Ergänzung eingebunden worden.

Wer aber direkt vor der südamerikanischen Küste eine Position mit einem schwarzen Kreuz markiert hat und zu welchem Zweck, wird wohl ein Geheimnis dieses Buches bleiben.

(Jeversches Wochenblatt vom 20. Januar 2001)